Dienstag, 7. Februar 2012

Ich bin Azubi eines mittelständischen Import/Export- Unternehmens in Zivil



Oben: Ich an Fasching 2011, verkleidet als der handlose Harry

Stellen Sie sich vor im April kommt jemand zu Ihnen und sagt Ihnen Folgendes:

"Immer wenn April ist, bin ich automatisch traurig, ziehe einen Trauerschleier auf, rezitiere Sartre und trample in den öffentlichen Blumenbeeten im Stadtpark herum"

Sofort werden Sie sich mit einer großen Menge Kutips die Ohren säubern und sich vergewissern ob Sie wirklich das Gesagte vernommen haben oder Sie rufen wild gestikulierend nach Mitarbeitern einer sanatorischen Einrichtung. Beides wäre natürlich gerechtfertigt und für jeden, den es interessiert, absolut nachvollziehbar.

Nun nehmen wir an, Sie treffen im Februar eine Person, die Ihnen Folgendes zu berichten hat:

"Immer wenn es Februar ist, bin ich fröhlich und ziehe mir aufgrund meiner Feierlaune einen Cowboyhut auf, trinke für fünf Personen, singe Lieder, die sonst nur bei den Proleten in Mallorca Gehör finden und trample anschließend in den öffentlichen Blumenbeeten im Stadtpark herum."

Nach kurzem Überlegen ob Sie der Person gleich eine schmieren wollen, fällt Ihnen ein: "Holla! Es ist ja Fasching, da macht man so was."

Man sieht also, bescheuertes Verhalten ist immer abhängig vom traditionellen Hintergrund und der Gewohnheit. Fasching bildet da, sogar noch vor Silvester und dem Erntedankfest, das wohl extremste Beispiel.

Wobei Fasching in den Kindertagen, doch immer ein freudiges Ereignis war. Verkleiden und Krapfen fressen. Welch Eden! Meine favorisierten Kostüme waren Batman und Zorro. Hauptsache in schwarz und irgendwie exzentrisch. Hätte ich damals von Personen wie Rozz Williams und Andrew Eldritch gewusst, wären mir auch diese als Kostümierung gut genug gewesen. Was dann allerdings immer recht unangehnem war, waren Kinderfaschingsparties. Wenn ich nun als Zorro durch die Gegend berzerkerte, wollte ich eigentlich nur Zorro sein. Keinesfalls wollte ich mit irgendeiner Prinzessin, einer Fee oder sonst irgendetwas blöd im Kreis herum tanzen oder mit Kindern, die mir schon damals zu unreif waren Reise nach Jerusalem spielen. Ich glaube sowieso, dass kein Kind an Fasching wirklich tanzen will. In erster Linie wollen das eigentlich die Eltern, die das Rumgeschubse unglaublich süß finden, während die Kinder darauf warten sich nun endlich die Plastikschwerter und -degen um die Ohren, oder auch wahlweise in die Augen hauen zu können.

Wenn man dann irgendwann aus Muttis Garderobenregime entwachsen ist und sich das ganze Jahr über schwarz anziehen kann, verliert auch die Faschingsfeier ihren Reiz. Außer bei einigen Leuten, denen in der Pubertät das Gehirn in die Poren wandert, aus denen es dann an den Badezimmerspiegel gespritzt wird. Dieses Verhalten wird dann bis ins Erwachsenenalter beibehalten, meistens weil man einen Grund zum Betrinken haben will. Wenn man allerdings, so wie ich in der Pubertät, nicht unbedingt auf gröhlende Bierbehälter steht und man außerdem alleine schon den Besitz von Alkohol als Grund zum Betrinken sieht, verabschiedet man sich irgendwann aus der Lach- und Speigesellschaft.

Historisch gesehen, machte Fasching durchaus Sinn. Im Mittelalter, in dem die Leute sowieso nicht allzu viel zu lachen hatten und die einzige Freizeitbeschäftigung im Ausdrücken von Pestbeulen bestand, griff man in der kalten Jahreszeit gerne zum Alkohol. Durchaus legitim. Um allerdings nicht als Trunkenbold zu gelten, was am örtlichen Pranger geendet hätte, maskierte man sich um anonym dem Himbeergeist fröhnen zu können. So war es in diesen Jahren nicht unüblich betrunkene Leute durch die Straßen stolpern zu sehen, die einen getrockneten Kuhfladen mit Augenlöchern im Gesicht trugen. Viele ertranken zwar, wenn sie in den Dorfbrunnen stolperten oder erfroren einfach aufgrund des Frostes, aber der Brauch wurde jedes Jahr wiederholt. Bis zum heutigen Tage.

Wobei der große Unterschied ist, dass man Fasching damals aus Frust und nicht aus Freude feierte. Heute ist es anders. Man begeht dieses Fest weil man so lustig und fröhlich ist. Jedenfalls redet man es sich ein. "Heute häng´ ich mich nicht auf, heute bin ich Cowboy!", ist der durchschnittlich am meisten gesagteste Spruch vom ersten bis zum 23. Februar. Jedenfalls wird dies von "Was sagt der Mensch im Monat"- Spezialisten bestätigt. Regressionswahn ist hier allerdings wahrscheinlicher, als saisonabhängiger, aus der menschlichen Natur geborener Frohsinn. Denn in keinem Lexikon steht unter dem Begriff "Frohsinn" folgendes:

"Meist im Februar auftretender Gemütszustand positiver Natur, der zu kostspieligem Kostümkauf, exzessivem Trinkverhalten, aggresivem Gestikulieren und Herumtrampeln in den öffentlichen Blumenbeeten des Stadtparks führt."

Entgegen vieler Behauptungen sind die Sparwitzbombadements des Fernsehens NICHT das Schlimmste an Fasching. Diese kann wenigstens durch Wegschalten ignoriert werden. Versuchen Sie das mal, wenn Sie zufällig in einen Faschingsumzug geraten, bei dem Sie mit Bonbons gesteinigt werden, während Ihnen penetrante Tröten und die Audioverbrechen eines Jürgen Drews die Gehörgänge penetrieren. Noch dazu rumpeln Sie in einer Tour mit irgendeinem Clown, der als Indianer oder Polizist verkleidet ist, zusammen und brauchen somit eine Ewigkeit um diesen Kriegsschauplatz zu verlassen. Da kann Arte auch nicht helfen.

Was an diesem Schreckensfest allerdings sehr schön ist, ist dass man wunderschöne, alkoholgeschwängerte Ausrufe wie "Meine Frau betrügt mich mit einem Bären!" oder "Dem Scheiß- Superman hau ich auf´s Maul!!" hören kann, so dass wenigstens der Voyeurismusgehalt, der Veranstaltungen ein nicht unbeträchtliches Maß hat. Allerdings muss man darauf achten, sich nicht aktiv ein zu mischen, bzw. aktiv eingemischt zu werden. Die Gefahr für Leib und Leben ist hier nicht unerheblich.

Wie auch immer. Ich meinerseits frage mich zwar das ganze Jahr über, wie sich manche Menschen so sehr zum Deppen machen können, dass man sich, aus der eigenen Ehre heraus nicht mal mehr fremdschämen kann, aber an Fasching nochmal mehr als doppelt so viel über das gewöhnliche Maß hinaus. Im Gegensatz zu Silvester, bei dem wenigstens noch ein wenig sentimentaler Schmonz mit hinein fließt, ist Fasching (genauso wie Karneval und Konsorten) ein Fest, das zu einiger Freude bei mir führen würde, wenn es von unserem Erdenrund verschwinden würde, samt der Leute, die jährlich auf ihre Geschmacksgrenze erbrechen, die sie sonst das ganze Jahr über so in den Vordergrund rücken. Meinetwegen soll man den Kindern ihren Spaß lassen, den sie meistens auch nicht haben, da die Eltern ein niedliches Foto für das Fotoalbum mit dem schlafenden Kätzchen auf dem Cover haben wollen, aber zum Besaufen, Pöbeln und um sich auf einer McDonalds- Toilette schwängern zu lassen, gibt es schon genug andere Events unter´m Jahr, die ebenfalls unerträglich sind. Mit was ich mich noch anfreunden könnte wäre folgende Alternative: Jeder feiert Fasching mit einer Auswahl an Bekannten oder Unbekannten und einer dekadenten Menge Alkohol und Plastikmasken in den eigenen vier Wänden, und nicht auf der Straße oder gar in "Locations". Da würde ich nichts dagegen sagen, vorausgesetzt, ich werde nicht eingeladen!

PS: Der Zusammenhang zwischen Titel und Text ist Folgender: Sollte ich zufällig in eine der oben abgewatschten Veranstaltungen reinrumpeln, würde ich auf die dümmlich grinsend dahingelallte Frage, warum ich nicht verkleidet sei antworten: "Ich bin doch verkleidet als Azubi eines mittelständischen Import/Export- Unternehmens in Zivil. Du elender Volldepp."

PSS: Wenn irgendeiner dachte ich bringe so was unlustiges und oberflächliches wie "Fasching kommt ursprünglich von Faschismus, wie man an den gleichen Wortanfängen sehen kann.", dann soll er seine Hand in einen Mixer halten und das Ergebnis, verfeinert mit einer halben Zwiebel auf ex trinken.

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