Montag, 7. Mai 2012

Kneipperei in Büschelfeld (oder: Die Regeln des bayerischen Volkstheaters)

Übliches, bayerisches Volkstheater


Es gibt verschiedene Dinge, die ich mit meiner Kinheit assoziiere. Dazu gehören neben Waldspaziergängen, begleitet von der Angst verloren zu gehen und einem aufblasbaren Halsreifen, mit dem ich relativ spät  das Schwimmen lernte, das bayerische Volkstheater in Gestalt von Peter Steiners Theaterstadl, dem Chiemgauer Volkstheater oder dem Komödienstadl. Und auch wenn man als Kind, die anspruchsvolle und vielschichtige Handlung dieser Stücke oft nicht versteht, so hat man doch Spaß an den urigen und kauzigen Figuren, die meistens damit beschäftigt sind, irgend etwas nicht zu verstehen oder ununterbrochen Türen zu zu schlagen. Los lässt das einen lebenslänglich nicht mehr. Viele Leute verarbeiten dies künstlerisch. Andere treten selbst dem örtlichen Bauerntheater bei oder werden depressiv. Wie auch immer diese Art der Unterhaltung das Fortleben beeinflusst, die wissenschaftliche Analyse der Stücke ist recht einfach. Damit jetzt nicht jeder Leser dieses Blogs, selbst eine Analyse anfertigen muss, habe ich mich an die Arbeit gemacht und ein typisches Bauerntheatervolksbühnenkomödienstück entworfen, welches ich früher oder später als Manuskript ans Münchner Schauspielhaus schicken werde. Aber das ist Zukunftsmusik, die uns jetzt nicht interessieren soll. Sehen wir uns lieber das (ewig-) gestrige an:

Ein immer wieder kehrender Faktor bei einem solchen Schwank ist das Aufeinanderprallen von Tradition und Moderne. Aus psychologischer Sicht, sicher mit Urängsten und Ähnlichem begründbar, was hier aber nicht hingehört. Schließlich ist so ein Stück zur Unterhaltung und nicht zum Nachdenken da. Wenn, dann wird die Angst unterbewusst übertragen, so wie es auch einige Experten dem Horrorgenre zuschreiben. Aber wie gesagt, dass Hirn wird ja jetzt ausgeschalten, da wir einen griabigen Schwank entwerfen. Nehmen wir für unser Beispiel die Tradition, in Gestalt eines, was sollte es sonst sein, kleinen, bayerischen Dorfes, dem wir den Namen Büschelfeld geben. Euro und Elektrizität sind hier erst einige Jahre nach der offiziellen Einführung angekommen, da man sich gerne in Skepsis übt und Alteingesessenes gern dabei belässt. Das Moderne wird dargestellt durch eine große Kneipp- Anlage, die in unmittelbarer Nähe des Dorfes gebaut werden soll. In wie weit das Kneippen als modern gilt, ist im Endeffekt egal, solange es nur genug Leute für Unfug halten. Also, das Grundgerüst steht schon einmal. Wir können uns denken, dass in einem solchen CSU- Dorf eher mit Misstrauen auf solche Sachen geantwortet wird. Genau darauf bauen nun 70% der Witze auf. Als Alternative zur Kneippkur- Anlage kann auch ein Schnellimbiss, ein Einkaufszentrum oder, wenn die Intention ganz umweltbewusst sein will, eine Müllverbrennungsanalge herhalten. In ganz avantgardistischen Stücken kann auch letzteres durch ein Atomkraftwerk ersetzt werden. Hauptsache es geht um etwas, was eigentlich niemand je in die Nähe eines 500 Seelen- Dorfes bauen würde.

Nun zu den Figuren: Die Hauptfigur ist meistens ein Bauer oder ein Bürgermeister. Manchmal auch ein Wirt. In unserem Fall ist es der Bürgermeister von Büschelfeld. Auffallend an dieser Figur ist, dass sie eigentlich Ungutes vor hat, oder dem Glück anderer Leute im Wege steht. Oft aus selbstgefälligen oder materialistischen Gründen. Trotzdem ist die Figur von anfang an sympathisch und ist am Ende natürlich geläutert. Auf jeden Fall will besagter Bürgermeister, nenen wir ihn Alois Bafframmer, unbedingt, dass in seinem schönen Dorf in Zukunft gekneippt wird, da er sich Einnahmen durch die Patienten verspricht. Der neue Maibaum bezahlt sich ja sicherlich auch nicht von alleine. Während des ganzen Stücks ist übrigens kein Vertreter der Kneippgesellschaft (oder wie man diese Insitution nennt) anwesend, damit der Eindruck eines gesichtslosen Unternehmens symbolisiert wird. Zurück zum Bürgermeister: Das Stück beginnt und der Vorhang öffnet sich unter Blasmusik und Applaus. Zu sehen ist Bafframmers Büro und er selbst, der gerade an seinem Schreibtisch sitzt und mit besagter Kneippgesellschaft telefoniert. Übrigens spielt das gesamte, restliche Stück in diesem Büro, in dem einfach jeder aus- und eingehen kann, wie bei einer Bahnhofstoilette. Nachdem das Telefonat beendet ist, kommt die Sekretärin ins Zimmer und bringt Kaffee, Unterlagen oder Ähnliches. Diese hält insgeheim nichts von den Plänen ihres Vorgesetzten, macht aber widerwillig mit und wird oft angeschrien. Auf jeden Fall spricht sie den gesamten Plan nochmals mit dem Bürgermeister durch, so dass der Zuschauer genau weiss worum es eigentlich geht. Meistens beginnt es mit "I woas nett, oba I hob koa guads Gfui bei der Soch." oder "Soi ma des wiaklich mocha? Glamms wiaklich, doss Büschelsfäid so a Kneipperei bracht?". Erster Running Gag: Man benutzt ununterbrochen das Wort "Kneipperei". Während dieses Gesprächs kommt heraus, dass man die Kneipp- Anlage auf einem ganz bestimmten Grund und Boden aufziehen will, der aber leider dem alten Großlindner Bauern gehört, von dem man weiss, dass dieser von neuen Ideen wenig hält und obendrein den Grund nicht rausrücken will. Dieser stellt die Identifikationsfigur der Geschichte da. Diesen kauzigen, urigen, freundlichen Mann will man seines Grundstücks, aus finanziellen Interressen berauben. Man braucht also einen Plan. Nun geht es erst richtig los!

Der Großlindner Bauer, ein richtig sympathischer, bodenständiger Typ tritt auf zwecks eines Geschäftes mit dem Bürgermeister und einer Vertragsunterzeichnung, die sowieso nicht zu Stande kommen wird. Als man in´s Gespräch kommt, tritt auch der zweite Running Gag in Kraft.

Bürgermeister: Woast Großlindner Bauer, mia woin bei der Wiesn do, die dia keaht a Kur- Anlag hi baun. Wo kronke Leit kneipn kenna.

Bauer: Wos? A Kneipn woits do hi baun?

Von nun an wird jeder, der von der Kneipp- Idee hört fragen, ob man auf den Grund des Großlindner Bauern eine Kneipe hinbauen will. Lustiger geht´s kaum. Wie erwartet steigt der Bauer nicht auf das Geschäft ein und erklärt mit altertümlichem Grinsen, dass diese Wiese schon seid Ewigkeiten in Familienbesitz steht und für keinen Preis der Welt zu erwerben ist. Nun ist guter Rat teuer. Während sich der Bürgermeister Gedanken macht und in Selbstgespräche versunken ist, kommt der beste Freund, meistens der Arzt oder Pfarrer in den Raum. Diese Figuren werden gerne als Komplizen eingesetzt, da sie normalerweise für Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit stehen. Religions- und Medizinskritik für das einfache Volk. In unserem Stück ist die Person der Dorfarzt. Der als Einziger gestochenes Hochdeutsch spricht und mit Fachbegriffen um sich wirft, was bei seinen Mitmenschen für Verwirrung sorgt. Der Bürgermeister erklärt sein Leiden und kommt auf einmal auf eine Idee! Der Doktor soll dem gutmütigen Bauern einreden er sei krank und die einzige Hilfe, die es gibt sei eine Kneipp- Kur. Nach erstem Zögern willigt der Arzt ein, da ihm der werte Herr Bürgermeister irgendetwas versprochen hat. Eine neue Röntgenmaschine oder einen Jackson Pollock für´s Wartezimmer. Also Korruption von der auch das gelackmeierte Volk etwas hat. Was die beiden Spitzbuben allerdings nicht bedacht haben ist, dass die sonst so devote Sekretärin an der Tür gehorcht hat und so nun genau über die zwielichtigen Machenschaften des Dorfoberhauptes  bescheid weiß. Der Plan ist nun also, dass man am nächsten Tag den alten Bauern wieder einlädt. Offensichtlich scheint dieser nichts anderes zu tun haben, so dass er jeden Tag ins Rathaus rennen kann. Man will ihn dann, wenn er nichts ahnend dasitzt, betrunken machen, damit ihm der Arzt anschließend einreden kann, er sähe gar nicht gesund aus und bräuche dringend die neuaritge Kur. Wunderbar.

Wie gesagt, hat die Sekretärin alles mitbekommen, sodass dieser Plan nicht ganz so funktionieren wird, wie es sich diese Gesellen ausgemalt haben. Was nun passiert ist relativ unabhängig von der eigentlichen Handlung. Verwechslungen, Türenzuknallen, irgendwer fällt hin, Geschrei, vielleicht bayerisches Gstanzln mit Schuhblattler oder eine Liebesgeschichte. Kann man alles individuell einsetzen. Auf jeden Fall laufen in einer Tour irgendwelche Leute im Büro herum als wäre es das Normalste der Welt. Gegen Anfang des letzten Akts sieht man die gesamte Familie des Bauern mit ihm und der Sekretärin, die die Leute unterrichtet hat aufgeregt im Büro herum stehen. Man kichert in sich hinein und jedem ist es klar: Der Spieß wird umgedreht. Als dann Bürgermeister und Doktor nichts ahnend ins Büro kommen und den Auflauf sehen, wird ihnen klar, dass dieser Abend anders wird als vorgestellt. Los geht die Gaudi! Irgendwie schafft es die Familie den besagten Spieß wirklich um zu drehen und am Ende ist der Bauer nüchtern und seine beiden Widersacher sind besoffen und bekommen von allen beteiligten eingeredet wie krank sie aussehen. Die Beiden haben natürlich Todesangst und stammeln durch die Gegend, als plötzlich der schlaue Bauer ihnen von einem Wundergetreide erzählt, dass er auf seinem großen Grund anbaut, welches den beiden Subjekten helfen könnte. Wer gut aufgepasst hat, dem wird aufgefallen sein, dass man eigentlich vor hatte diese Wiese für die Kneipper zu verwenden. Nun, angesichts des Todes, will man aber unbedingt diese Wiese, auf der komischerweise etwas angebaut wird, zum eigenen Überleben verwenden und ruft stockbesoffen bei der Kneippgesellschaft an, sie könnten ihr "Kneipp Wossa safa bises äana zua die Ohrwascheln naus lafft!" Der Vertrag wird zerrissen und man geht fröhlich lallend nach Hause.

Am nächsten Morgen hat man einen unvergleichlichen Kater, den man, wo sonst, im Rathaus auskuriert. Da kommt auch raus, dass man für dumm verkauft wurde, was dazu führt, dass man sich kurz aufregt, aber letztendlich doch wieder mit Gott und der Welt ausgesöhnt ist. Alle verneigen sich. Ende

Zwischen den Akten, meistens sind es drei, spielt eine bayerische Kapelle, bei der jeder einen anderen merkwürdigen Gesichtsausdruck hat. Nach so einem Stück ist man natürlich fix und foxi, vorrausgesetzt man hat sich nicht komplimentär mit den Figuren betrunken. Jedenfalls funktioniert ein bayerisches Theaterstück genau so und nicht anders. Die Figuren sind natürlich austauschbar, aber die Grundzustaten bleiben die Selben. Wenn man ganz genau hinschaut erkennt man dies auch bei Shakespeare wieder, jedenfalls sagt dies jeder Volksschauspieler, damit seine "Kunst" nicht als Unterhaltungsradau bezeichnet mit. Nun ja, vorrausgesetzt man hat keinen Blog, muss man sich mit diesem Thema auch nicht weiter auseinandersetzen, weshalb ich auch glaube, viele Leute mit diesem Eintrag irritiert zu haben. Ich kann ja mal was über´s Wetter sagen, damit alle mitreden können. Ich glaube diese Woche wird´s nicht so schön wie letzte Woche. Nicht unterhaltsam? Ja, aber sie wollten ja mitreden. Kasperl.

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