Samstag, 22. Oktober 2011

Hauptsache Bahnhof

Es mag einem gar nicht so vorkommen, aber die Zeit in der der Mensch noch einfach und primitiv war ist schon längst vorbei. Zu dieser Zeit war der Homosapiens, wie er im Volksmund genannt wird, noch ein Einzelgänger. Unsozial, verschlossen, beziehungsunfähig. Die einzige Freude war das Färben von Häuten geschlachteter Tiere mit vergammeltem Obst. Jedenfalls wird dies von einigen pensionierten Anthropologen behauptet. Was auch immer die Leute tausend Jahre lang gemacht haben, es war eher ein Neben- als ein Miteinander. Angesichts der heutigen Fülle an Mitmenschen versucht man diese Lebensweise wieder aufzunehmen, was allerdings bisher immer wieder zum Scheitern verurteilt war. Wie auch immer, das war ja nicht das eigentliche Thema.

Also wie gesagt, war der Mensch ein Einzelgänger und legte nur wenig Wert auf Konversationen, Diskussionen und erfrischende Prügeleien. Die Schutzschranke im Kopf war dafür einfach noch viel zu ausgeprägt. Besagte Schranke wurde allerdings brachial zerstört von einer Gruppe Wissenschaftler (es wird jedenfalls davon ausgegangen, dass es Wissenschaftler waren; die übriggebliebenen Dokumente ergeben kein eindeutiges Bild dieser Herrschaften), die Kurzerhand eine revolutionäre Erfindung vorlegten: Den Bahnhof. Von nun an stand nicht mehr jeder irgendwo rum, sondern alle gebündelt an einer Stelle, um einer Beschäftigung nachzukommen, die so alt ist wie das Wort "Beschäftigung" selbst: Warten. Beim Warten kommt es unweigerlich zur Konfrontation mit anderen Individuen, was das Sozialverhalten der Menschen um einiges interessanter und vielseitiger macht. Einige behaupten, dass auch hier erst die Sprache erfunden wurde. Aber die Theorien über die Auswirkungen des Bahnhofs auf Sprachentwicklung und -verhalten, wurden bereits in unzähligen Referaten und Magisterarbeiten behandelt, darüber müssen wir hier jetzt gar nicht reden.

Da der Mensch nun sozial entwickelt war, wollte er sich natürlich nicht immer mit den gleichen Schwellköpfen unterhalten und wünschte sich neue Gesprächspartner. Mit der Erfindung der Eisenbahn, die kurz nach der Erfindung von Sprache und Bahnhof kam, hatte man nun auch die Möglichkeit die Bahnhöfe untereinander zu verbinden, sodass auch Leute von außerhalb die Möglichkeit hatten zu den Diskussionsrunden über Politik, Kultur und Wetter zu kommen. Eine wunderbare Zeit. Über Ortsgrenzen hinweg hatten die Leute nun Verbindung zueinander um sich an den Bahnhöfen miteinander zu treffen um dort Eindrücke auszutauschen. Wie es allerdings immer ist mit tollen Sachen, gibt es einige Tunichtgute, die sie zu Fall bringen wie ein Kartenhaus, dass von einem Nieser des dicken Tischnachbarn in alle vier Winde verstreut wird. Denn Viele fingen an die Bahnverbindungen für andere Zwecke zu nutzen. Man stieg in den heimischen Bahnhof ein, wie es unser ehemaliger Ministerpräsident so schön formulierte, fuhr zum Wunschbahnhof, an dem schon redefreudige Subjekte hoffnungsvoll und mit breitem Grinsen im Affengesicht warteten und machte letztendlich was ganz was anderes. Man ging nich mehr zum Bahnhof um ein Pläuschchen mit seinem Gegenüber zu halten, sondern um vom Bahnhof aus die Arbeitsstelle, das Kaufhaus oder die Familie zu erreichen. Den potentiellen Gesprächspartner lies man einfach stehen. Nachdem sich diese Entwicklung, wie der Name schon sagte, entwickelt hatte, waren viele Bahnhofsbesucher desillusioniert und enttäuscht und gingen lediglich zum Warten an die Bahnhöfe. In den nächsten Jahren standen dann wieder alle stumm und blöd guckend in der Gegend herum.

Heute hat sich der Sinn des Bahnhofs verändert. Der Besprechungsort sinnloser Themen wurde vom Stammtisch abgelöst. Die Einzigen die einen jetzt noch am Bahnhof ansprechen, wohnen entweder dort, zeigen einem den schnellstmöglichen Weg ins Krankenhaus oder erklären einem, dass man eine potentielle Gefahr für die Mitmenschen ist, was den herzhaften Griff in den Schritt legitimiert. Der Bahnhof ist heutzutage ein Austauschsort der Kulturen und Geisteskrankheiten, und beliebtes Reiseziel von Soziologiestudenten. Wer könnte es ihnen verüblen, denn an welchen anderen Orten trifft man so viele verschiedene Schichten, Meinungen und Intelligenzquotienten auf einem Haufen. Vom hektischen Anzugträger, der sich noch schnell eine fettige Bratwurst quer in den Rachen schiebt bis zum freundlichen Subproletarier in Jogginghosen, der sich eine Hopfenkaltdose oral einführt. Ein Höhepunkt jedes Bahnhofs ist der sogenannte "Penner". Vergleichbar mit der bärtigen Frau auf historischen Jahrmärkten. Mit ihm kann man sich fotografieren lassen, man kann seinen Schlafsack anprobieren oder seiner Gutmenschendrüse einen Gefallen tun indem man mit ihm redet und so tut als ob man etwas vom alkoholgeschwängerten Gebrabbel verstehen würde. Die Zeit danach verbringt man im Zug mit seinen Anverwandten und redet über ihn und wie schlecht es dem armen Mann doch geht, bevor man sich, zuhause angekommen, mit einer Weißweinschorle vor den Fernseher pflanzt.

Aber nicht nur als Freakshow ist der Bahnhof wunderbar, sondern auch als Einkaufsparadies. Neben fettigen Salmonellenmenüs zur Stärkung der körpereigenen Polster kann man sich dort auch diverse Rauchartikel wie Zigaretten, Zigarettentabak und Zigarettenersatz kaufen. Will man sich weiterbilden gibt es auch Kioske und Buchläden in denen man sich zur BILD auch mal gerne ein gutes altes Mopsmagazin mitnimmt, falls es auf der Zugfahrt langweilig wird und die Toilette nicht besetzt ist. Will man von der Welt nichts wissen, wie die Meisten am Bahnhof, kauft man sich den neuen Bestseller "Fotzengebote" von Charlotte Roche. Heieiei, da schlägt das verfettete Konsumherz höher!

Will man sich nicht durch Bücher bilden, dann hört man eben den vielfältigen Fremdsprachen zu. Zu den Meisten gibt es noch nicht einmal Langenscheidtbücher! Sprachforscher rätseln immer noch, was das oft gehörte "SÄÄÄÄÄÄÄÄÄCHZIIIIIIG" bedeuten soll, das oft aus tausenden angefeuchteten Kehlen durch den kompletten Bahnhof gebrüllt wird.

Was gibt es noch zu sagen...für menschliche Bedürfnisse geht man lieber auf die Toiletten von McDonalds und Burger King, da hat man zwar danach einen Tripper, aber immer noch genug Geld für ein gepflegtes Bier. Denn das beliebte Retrobahnhofsklo (zu diesem Thema später mehr), wird immer mehr durch Drehkreuzanlagen ersetzt, die einen erstmal 1,60 € kosten. Da klatscht man lieber der afrikanischstämmigen Klofrau im Fettfrittenfresstempel vierzig Cent auf den Teller. Über den, durch den Bahnhof aufgekommenen Trend des Bahnfahrens, diverse bahnhöfische Subkulturen und gar lustige Zivilkontrollen gibt es später mehr. Denn diese Faktoren haben alle eine eigene Überschrift verdient! In diesem Sinne: Besuchen Sie mal wieder ihren örtlichen Bahnhof und haben Sie am modernen Leben teil. Wenn Sie keinen Bahnhof haben, dann haben Sie in ihrem Dreckskaff wahrscheinlich auch keinen Internetanschluss und haben diesen Text gar nicht gelesen. In diesem Falle: Mein herzlichstes Beileid.

PS: Sollten Sie an ihrem Bahnhof weder Burger King, Kiosk noch Penner haben, dann ist Ihr Bahnhof nicht der Münchner Hauptbahnhof. Da macht es gar nichts, dass das Bild zum Artikel vom Bahnhof am Marienplatz kommt.

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