Donnerstag, 20. Oktober 2011

Hurra, wir reißen Alles auf!


Bereits seid einiger Zeit hat Deutschland Grund zu feiern! Der Grund für diesen andauernden Exzess: So viele Ausbildungsplätze wie schon lange nicht mehr!!!111

Warum ich mir schließlich für dieses Jahr einen Aushilfsjob im allseits beliebten Superdiscounter NORMA angenommen habe kann von zwei Faktoren bestimmt sein:

1. Ich lebe nicht in Deutschland und habe es bis heute nicht gemerkt.

2. Es gibt zwar viele Ausbildungsplätze, aber Keiner davon lässt sich mit meinen Vorstellungen vereinbaren.

Der Grund dafür wird wohl Ersterer sein. Wie auch immer, ich wollte ja auf meine, fast tägliche Arbeit in der guten, alten Konsumverrichtungsanstalt mit dem großen "N" kommen. Ein erster Eintrag auf einem Blog sollte schließlich private und intime Einblicke in das Leben des Schreibers bieten, die oft um einiges interessanter sind als der Mumpitz der eigentlich geschrieben wird. Also los:

Die Arbeit im bereits genannten Supermarkt lässt sich, rein räumlich, in zwei Ebenen aufteilen: Das Lager und der öffentliche Verkaufsbereich, oft auch "Arena" genannt. Die Arbeit im Lager beschränkt sich größtenteils auf das Spielen mit der Kartonpressmaschine, dem Rauchen im Aufenthaltsraum oder dem Sitzen im Kühlraum, um sich für die folgenden Tage eine Erkältung als driftigen Grund für das Zuhausebleiben zuzulegen. Die Arbeit in der Arena lässt sich wiederrum aufspalten in die Arbeit mit Produkten und die Arbeit mit Kunden, die sich in der heutigen Zeit immer wieder überschneidet. Das Arbeiten mit Ware bzw. den Produkten ist vollkommen uninteressant und soll hier nicht weiter erwähnt werden. Viel interessanter ist die, immer wieder von sozio- und psychologischen Faktoren begleitete Arbeit mit den Kunden.

Beim Arbeiten im Supermarkt ist der Kontakt mit Kunden auf Dauer unvermeidbar. Er äußert sich in unnötiger Fragerei, da sich die Antwort meist auf der Verpackung des problematischen Produkts befindet, Körperkontakt in Gestalt von "unabsichtlichem" Anrempeln und minutenlangen Konversationen, in denen es darum geht, warum man die angebotene Ware nicht mal zur Schweinefütterung hernehmen könne. Alles in Allem also ein freundliches Mit- und Gegeneinander, dessen Lernfaktor unersetzlicher Natur ist. Soweit so gut. Leider wurde die Beziehung zwischen Kunden und Verkäufern durch die Erfindung der Schütte um Einiges erschwert. Die Schütte kann man sich als großen, metallenen Korb vorstellen der mitten im Supermarkt herumsteht und gefüllt ist mit allerlei nützlichen Sachen. Den Namen hat diese Vorrichtung von der Geste des Hineinschüttens der Waren, die meistens Vormittags von den gutgelaunten Mitarbeitern vorgeführt wird. Andere Behaupten der Name geht auf den Erfinder der Schütte, Leopoldt Hans von Schütt, zurück. Zu diesem Streitthema demnächst mehr.

Nun werden Sie sich fragen, lieber Leser: Wie kann denn ein so unschuldiges Objekt die Beziehung von Käufer und Verkäufer so sehr auf die Probe stellen? Eine gute Frage, die sich ebenso gut beantworten lässt: Nicht die Schütte ist das eigentliche Problem, sondern die darin liegende Ware. Nun fragt sich der Leser: Wat is? Die Ware? Erzählt sie etwa dem Kunden, dass die Angestellten über sein viel zu kleines Sacko lästern? Fast. Die Ware in der Schütte verfügt oft über die Eigenschaft, in einen Karton oder einer Plastikverpackung eingebettet zu sein. Nun kommt die Psychologie ins Spiel: Irgendetwas im Unterbewussten des Kunden muss ihn dazu veranlassen, die besagte Ware gewaltsam aus ihrer Verpackung zu reißen, die Ware (meist Textilien) bis zur totalen Unkenntlichkeit zu verknuddeln und anschließend, als handele es sich um Abfall, verächtlich zurück in die Tiefen der Angebote zu schleudern. Das man Produkt und Verpackung danach nicht wieder zusammenführt ist natürlich selbstverständlich.

In den Abendstunden geht der Spaß dann für den Angestellten los: Das Aufräumen der Schütten, das in der Vorstellung zu den leichtesten Übungen gehört, wird zur reinsten Passion. Vergeblich versucht man die verkrüppelten T-Shirts, Hemden und Hosen in ihre alte Form zurückzufalten und säuberlich in ihr Plastiktütenzuhause einzufügen. Werkzeuge, Wasserhähne und was sonst noch so in Kartons verpackt wird, versucht man passend in die Kartons zurückzuquetschen, oft zum Leidwesen des Kartons. Zum Glück der Arbeitskraft ist es eh schon unklar welche Beschädigungen von ihr oder dem Kunden kommen. Und da ja nicht nur zwei oder drei Kunden in einem solchen Discounter einkaufen gehen, wiederholt sich das Ganze einige hundert Male, bis die Schütten aussehen wie Sodom und Gomorrah und man schließlich colabiert oder versucht sich in den Schütten zu ertränken.

Warum dem Kunden das Aufreißen von Kartons und Plastiktüten, sowie das anschließende Verteilen des Inhalts eine solche Freude bereitet ist bis heute ungeklärt. Spezialisten vermuten, sadistische Triebe, die Projektion einer verhassten Person auf die unschuldige Ware oder das exzessive Ausleben des Thanatos, aufgrund frühkindlicher Traumata seien die Ursache. Andere behaupten die Angst der Leute vor Fehlinvestitionen, die von Verbrauchershows des deutschen Rundfunks gezeigt werden, würde die Menschen zu paranoiden Bestien machen. Ganz Andere behaupten die Betreffenden seien lediglich dumm und asozial. Wer auch immer recht hat, im Endeffekt sind ich und 100 000e anderer Arbeiter die Opfer dieser Bestien.

Wobei man auch verstehen kann, was die Leute zu ihrer Zerstörungswut treibt. Schließlich muss man sich als geborener Heimwerker auch davon überzeugen, ob in der Bohrmaschinenverpackung auch wirklich eine Bohrmaschine ist! Mit einem Suppenlöffel kann man schließlich kein Loch in die Wand bohren! Was wäre denn das für eine verkehrte Welt *lol*. Am Besten wäre es natürlich noch wenn man die Maschine direkt im Laden ausprobieren könnte. Legenden behaupten, dass dies bereits von einigen Kunden gemacht wurde. Rätselhafte Löcher in den Wänden seien der Beweis dafür. Selbstverständlich muss man schauen ob die angegebene Kleidergröße wirklich der Eigenen entspricht. Könnte ja sein, dass diese falsch angegeben ist. Vielleicht ist man ja auch einfach nur fetter geworden, auch gut möglich. Am Besten kann man dies natürlich prüfen indem man, wie bereits geschildert, das Glitzersternshirt aus der Packung reißt und es ausbreitet, um es abwechselnd vor die hervorquellenden Glubschaugen oder an den fetten Wanst zu halten. Letzten Endes entscheidet man sich dafür, das Teil wieder hinzuwerfen und doch lieber zu KiK zu gehen.

Vielleicht wollen diese Subjekte ja auch nur das Beste der Angestellten. Vielleicht wollen sie ja nicht, dass man sich langweilt und gezwungen ist zu rauchen, mit der Kartonpressmaschine zu spielen oder in der Kühlkammer rumzuhocken. Fachmänner und -frauen bezweifeln allerdings diese These und rechnen das Verhalten totaler Ignoranz zu.

Letzten Endes ist die Lösung dieses Problem allerdings doch wie immer: Selbstbeherrschung und selbstauferlegte Blindheit gegenüber der Tatsache. Gar nicht so einfach: Wenn man zusammenzuckt weil man hinter sich wieder das Geräusch des Tütenaufreißens vernimmt, möchte man, logischerweise, den Kopf des Übeltäters in die besagte Tüte stecken und warten bis kein Quäntchen Luft mehr in die Lunge des Schurken gelangen kann. Das Problem ist natürlich, wie so oft bei affektiven Entscheidungen, die Leichenbeseitigung. Die Kühlkammer, meistens schon von drei rauchenden Mitarbeitern besetzt, muss schließlich ihren gesamten Platz für die nächste Lieferung Schlemmeryoghurt hergeben. Diese Tatsache macht auch die Alternative zunichte, es dem Kunden gleichzutun, d.h. ihn aufreißen und den Inhalt meterweit verstreuen.

Es gibt nun mal im Leben Dinge gegen die man nicht ankommt. Dazu zählt z.B. die totalitäre Autorität. Und da der Kunde König ist, trifft es das schon ziemlich gut. Weil man allerdings seinen Job gerne behalten möchte, ist man gezwungen seine Paraderolle, den Volldeppen, zu spielen. Und wenn man dann wieder ein Glas Meerretich zwischen den Socken und eine Tafel Zartbitterschokolade zwischen den Nachthemden findet, sollte man sich ins Gedächtnis rufen: Die schönsten Rachegelüste gebirrt immer noch die menschliche Fantasie und dort sind sie auch (vorerst) am besten aufgehoben.

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